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Jungle World, Nr. 05/2002 - 23. Januar 2002
Anstand am Tag des Sieges
Vor einem türkischen Zivilgericht klagt Leyla B. wegen Vergewaltigung.
 
 

Weil sie keine Türkin ist und die Angeklagten Polizisten sind, stehen ihre Chancen schlecht.
von Sabine Küper-Basgöl, Istanbul

Das metallische Klappern der Schreibmaschine und die unpersönlich leiernde Stimme des vernehmenden Richters sind unerträglich. "Kerem D. zog mich an den Haaren ins Badezimmer, schlug in mein Gesicht, urinierte auf meinen Mund und schrie mich an: Wenn du Wasser trinken willst, das ist dein Wasser", trägt er mit einer gelangweilten und blechernen Stimme die Aussage von Leyla B vor. Die 33jährige und ihre Freundin Hülya S. haben vor dem Zivilgericht des Istanbuler Stadteils Üsküdar gegen drei Polizisten wegen der Vergewaltigung von Leyla B. am 30. August des vergangenen Jahres Klage eingereicht. Und wie so oft in Vergewaltigungsverfahren müssen sich die Klägerinnen am ersten Verhandlungstag Anfang Januar wie Angeklagte fühlen.

Der Richter fährt die Rumänin Leyla B., die seit zwölf Jahren mit einem Türken verheiratet ist und drei Kinder hat, mehrfach an, sie solle doch nicht so stockend erzählen. Als die kreidebleiche Frau in Tränen ausbricht, weil sie von der Vergewaltigungsszene in dem Hotelzimmer erzählen muss, herrscht er sie schnarrend an: "Also bitte schön, nun erzählen Sie schon. Sie sind doch hier vor Gericht." Ihr verzweifelter Blick verrät, dass die Gleichgültigkeit, mit der man ihren Schilderungen begegnet, sie fassungslos macht.

Immer wieder blickt sie Hilfe suchend zu den Anwältinnen und ihrem bewunderswert ruhigen Ehemann Eyüp B., wenn der Richter eine weitere peinigende Einzelheit nicht verstehen will. Auch im Publikum rutschen viele ungeduldig auf den Bänken herum, denn es gehört nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu verstehen, dass es nicht Leyla B. war, die Kerem D. mit einer Pistole dazu zwang, sie zu vergewaltigen.

Zwei der Angeklagten sind im Prozess anwesend. Die beiden Polizisten Kerem D. und Bennay Ö. haben frisch geschorene Haare und tragen Anzüge mit gestärkten Kragen. Als Polizisten sind sie es gewöhnt, stramm zu stehen und Vorgesetzten nur in knappen Sätzen zu antworten, wenn sie gefragt werden. Der Vorsitzende Richter behandelt sie fast väterlich, denn im Gegensatz zu der Ausländerin mit den rot getönten Haaren wissen sie, wie man vor Gericht spricht. Kerem D. ist nach zehn Minuten mit seiner Version des Tathergangs fertig. Er versucht den Eindruck zu
erwecken, die beiden Frauen seien Gelegenheitsprostituierte und nur widrige Umstände hätten ihn daran gehindert, Leyla B. die vereinbarten 100 Dollar zu zahlen.

Auch Bennay Ö. bemüht sich, seine Aussage knapp und distanzier
vorzubringen. Er habe mit der gesamten Geschichte nichts zu tun, außerdem sei sein Kollege Kerem betrunken gewesen. Als anständiger Türke hätte dieser sich am nationalen "Tag des Sieges" der osmanischen über die griechische Armee etwas amüsieren wollen. Kerem sei durch die Vermittlung von Hülya S. mit der Ausländerin einig geworden, und dann seien die beiden im Hotel verschwunden, während er nach Hause ging.

Hülya und Leyla erzählen allerdings eine andere Geschichte. Zusammen seien die beiden Frauen im vergangenen August mit den fünf Kindern in ein Sommerhaus im Badeort Sile gefahren. Sie wollten das Haus herrichten und in der heißen Jahreszeit auch etwas Zeit am Meer verbringen. Als die Kinder am 30. August schliefen, wollten die Frauen noch am Strand spazieren gehen. Hülya erzählt, sie habe in einem Strandrestaurant ein Bier getrunken, beteuert aber, sie sei nicht betrunken gewesen.

Dann seien die beiden Polizisten in Zivil aufgetaucht und hätten nach den Ausweisen gefragt. Leyla B. hatte ihren Pass im Sommerhaus gelassen Kerem D. sei stark betrunken und starrköpfig gewesen und habe unbedingt die ausländische Frau zur Personalienkontrolle mitnehmen wollen. Schließlich musste Hülya S. mit Mehmet P., einem Freund der Polizisten, allein zurückbleiben.

Die beiden Polizisten fuhren nach Aussage der Frauen mit Leyla B. zunächst in einen Wald und bedrohten sie mit einer Pistole. Dann brachten sie Leyla in ein Hotel, nur 100 Meter von der Polizeistation von Sile entfernt.

Leyla B. beschreibt, wie der Nachtportier den Polizisten aufgefordert habe, die schreiende Frau doch endlich zum Schweigen zu bringen. Eine Eintragung im Gästebuch, obligatorisch für die türkische Gastronomie, gab es nicht. Die beiden gingen auf das Zimmer, wo Leyla B. nach ihren Aussagen von Kerem D. vergewaltigt wurde.

Währenddessen holte sich Hülya S. zwei männlichen Bekannte zu Hilfe, da sie genau wusste, dass sie allein weder auf der Polizeistation noch im Hotel etwas ausrichten konnte. Sie gingen sofort zusammen in das Hotel, um die Vergewaltigung zu verhindern, aber der Portier verriet nicht, in welchem Zimmer sich Leyla B. und Kerem D. befanden. Daraufhin liefen sie zur Polizeistation, wo jedoch eine weitere Dreiviertelstunde verging, ehe ein älterer Beamter veranlasste, eine Streife in das Hotel zu schicken. Noch eine halbe Stunde dauerte es, bis sich der Portier dazu
bewegen ließ, an der Zimmertür zu klopfen. Eine weitere halbe Stunde später holten die Beamten Leyla B. und Kerem D. schließlich aus dem Zimmer.

Leyla B. wurde ihrer Aussage zufolge dann allein zur Polizeistation gebracht, wo man sie erst einmal zwei Stunden lang sitzen ließ. Auf den Polizeifotos sieht man sie zusammengeschlagen und halb betäubt. Die ganze Zeit über sei Kerem D. mit einer Pistole am Gürtel umherstolziert. Die gesamte Polizeistation soll versucht haben, B. einzuschüchtern, damit sie keine Anzeige gegen ihren Peiniger stellte.

Hülya S. und ihre Begleiter fanden schließlich eine Staatsanwältin, die Leyla B. aus der Polizeistation in das örtliche Krankenhaus bringen ließ. Bennay S. und Kerem D. wurden am nächsten Morgen verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht. Mehmet P. und ein dritter Polizist erhielten eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung.

Der erste Verhandlungstag in der vergangenen Woche dauerte insgesamt fünf Stunden. Kurz nach Prozessbeginn stellte es sich heraus, dass wichtige Akten fehlen. Die Unterlagen über die von der Staatsanwaltschaft veranlasste medizinische Untersuchung des allgemeinen körperlichen Zustands von Leyla B. sowie der für Vergewaltigungsopfer bei Verhandlungen in der Türkei so wichtige gynäkologische Nachweis von Spuren gewaltsamen sexuellen Verkehrs sind verschwunden.

Die Forderung der Anwältinnen, die gesamte Polizeistation wegen unterlassener Hilfeleistung, des Versuchs der Vertuschung einer Straftat und der Einschüchterung der Angeklagten anzuklagen, wurde ignoriert. Dafür müsse man ein eigenes Verfahren eröffnen, bügelte sie der Richter schroff ab.

Während des Prozesses wurde deutlich, dass sich die latent sexistische Haltung vieler türkischer Männer gegenüber osteuropäischen Frauen noch verstärkt. So ist der Name "Natascha" in der Türkei inzwischen ein Synonym für eine ausländische Prostituierte. Und genau darauf bauen die Angeklagten ihre Verteidigung. Schließlich wurde der Prozess auf den 27. Februar vertagt, dann soll der Angeklagte Mehmet P. vernommen werden, der in Sile eine Bar betreibt.