Weil sie keine Türkin ist und die Angeklagten
Polizisten sind, stehen ihre Chancen schlecht.
von Sabine Küper-Basgöl, Istanbul
Das metallische Klappern der Schreibmaschine und die
unpersönlich leiernde Stimme des vernehmenden Richters
sind unerträglich. "Kerem D. zog mich an den
Haaren ins Badezimmer, schlug in mein Gesicht, urinierte
auf meinen Mund und schrie mich an: Wenn du Wasser trinken
willst, das ist dein Wasser", trägt er mit
einer gelangweilten und blechernen Stimme die Aussage
von Leyla B vor. Die 33jährige und ihre Freundin
Hülya S. haben vor dem Zivilgericht des Istanbuler
Stadteils Üsküdar gegen drei Polizisten wegen
der Vergewaltigung von Leyla B. am 30. August des vergangenen
Jahres Klage eingereicht. Und wie so oft in Vergewaltigungsverfahren
müssen sich die Klägerinnen am ersten Verhandlungstag
Anfang Januar wie Angeklagte fühlen.
Der Richter fährt die Rumänin Leyla B., die
seit zwölf Jahren mit einem Türken verheiratet
ist und drei Kinder hat, mehrfach an, sie solle doch
nicht so stockend erzählen. Als die kreidebleiche
Frau in Tränen ausbricht, weil sie von der Vergewaltigungsszene
in dem Hotelzimmer erzählen muss, herrscht er sie
schnarrend an: "Also bitte schön, nun erzählen
Sie schon. Sie sind doch hier vor Gericht." Ihr
verzweifelter Blick verrät, dass die Gleichgültigkeit,
mit der man ihren Schilderungen begegnet, sie fassungslos
macht.
Immer wieder blickt sie Hilfe suchend zu den Anwältinnen
und ihrem bewunderswert ruhigen Ehemann Eyüp B.,
wenn der Richter eine weitere peinigende Einzelheit
nicht verstehen will. Auch im Publikum rutschen viele
ungeduldig auf den Bänken herum, denn es gehört
nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu verstehen,
dass es nicht Leyla B. war, die Kerem D. mit einer Pistole
dazu zwang, sie zu vergewaltigen.
Zwei der Angeklagten sind im Prozess anwesend. Die
beiden Polizisten Kerem D. und Bennay Ö. haben
frisch geschorene Haare und tragen Anzüge mit gestärkten
Kragen. Als Polizisten sind sie es gewöhnt, stramm
zu stehen und Vorgesetzten nur in knappen Sätzen
zu antworten, wenn sie gefragt werden. Der Vorsitzende
Richter behandelt sie fast väterlich, denn im Gegensatz
zu der Ausländerin mit den rot getönten Haaren
wissen sie, wie man vor Gericht spricht. Kerem D. ist
nach zehn Minuten mit seiner Version des Tathergangs
fertig. Er versucht den Eindruck zu
erwecken, die beiden Frauen seien Gelegenheitsprostituierte
und nur widrige Umstände hätten ihn daran
gehindert, Leyla B. die vereinbarten 100 Dollar zu zahlen.
Auch Bennay Ö. bemüht sich, seine Aussage
knapp und distanzier
vorzubringen. Er habe mit der gesamten Geschichte nichts
zu tun, außerdem sei sein Kollege Kerem betrunken
gewesen. Als anständiger Türke hätte
dieser sich am nationalen "Tag des Sieges"
der osmanischen über die griechische Armee etwas
amüsieren wollen. Kerem sei durch die Vermittlung
von Hülya S. mit der Ausländerin einig geworden,
und dann seien die beiden im Hotel verschwunden, während
er nach Hause ging.
Hülya und Leyla erzählen allerdings eine
andere Geschichte. Zusammen seien die beiden Frauen
im vergangenen August mit den fünf Kindern in ein
Sommerhaus im Badeort Sile gefahren. Sie wollten das
Haus herrichten und in der heißen Jahreszeit auch
etwas Zeit am Meer verbringen. Als die Kinder am 30.
August schliefen, wollten die Frauen noch am Strand
spazieren gehen. Hülya erzählt, sie habe in
einem Strandrestaurant ein Bier getrunken, beteuert
aber, sie sei nicht betrunken gewesen.
Dann seien die beiden Polizisten in Zivil aufgetaucht
und hätten nach den Ausweisen gefragt. Leyla B.
hatte ihren Pass im Sommerhaus gelassen Kerem D. sei
stark betrunken und starrköpfig gewesen und habe
unbedingt die ausländische Frau zur Personalienkontrolle
mitnehmen wollen. Schließlich musste Hülya
S. mit Mehmet P., einem Freund der Polizisten, allein
zurückbleiben.
Die beiden Polizisten fuhren nach Aussage der Frauen
mit Leyla B. zunächst in einen Wald und bedrohten
sie mit einer Pistole. Dann brachten sie Leyla in ein
Hotel, nur 100 Meter von der Polizeistation von Sile
entfernt.
Leyla B. beschreibt, wie der Nachtportier den Polizisten
aufgefordert habe, die schreiende Frau doch endlich
zum Schweigen zu bringen. Eine Eintragung im Gästebuch,
obligatorisch für die türkische Gastronomie,
gab es nicht. Die beiden gingen auf das Zimmer, wo Leyla
B. nach ihren Aussagen von Kerem D. vergewaltigt wurde.
Währenddessen holte sich Hülya S. zwei männlichen
Bekannte zu Hilfe, da sie genau wusste, dass sie allein
weder auf der Polizeistation noch im Hotel etwas ausrichten
konnte. Sie gingen sofort zusammen in das Hotel, um
die Vergewaltigung zu verhindern, aber der Portier verriet
nicht, in welchem Zimmer sich Leyla B. und Kerem D.
befanden. Daraufhin liefen sie zur Polizeistation, wo
jedoch eine weitere Dreiviertelstunde verging, ehe ein
älterer Beamter veranlasste, eine Streife in das
Hotel zu schicken. Noch eine halbe Stunde dauerte es,
bis sich der Portier dazu
bewegen ließ, an der Zimmertür zu klopfen.
Eine weitere halbe Stunde später holten die Beamten
Leyla B. und Kerem D. schließlich aus dem Zimmer.
Leyla B. wurde ihrer Aussage zufolge dann allein zur
Polizeistation gebracht, wo man sie erst einmal zwei
Stunden lang sitzen ließ. Auf den Polizeifotos
sieht man sie zusammengeschlagen und halb betäubt.
Die ganze Zeit über sei Kerem D. mit einer Pistole
am Gürtel umherstolziert. Die gesamte Polizeistation
soll versucht haben, B. einzuschüchtern, damit
sie keine Anzeige gegen ihren Peiniger stellte.
Hülya S. und ihre Begleiter fanden schließlich
eine Staatsanwältin, die Leyla B. aus der Polizeistation
in das örtliche Krankenhaus bringen ließ.
Bennay S. und Kerem D. wurden am nächsten Morgen
verhaftet und in Untersuchungshaft gebracht. Mehmet
P. und ein dritter Polizist erhielten eine Anzeige wegen
unterlassener Hilfeleistung.
Der erste Verhandlungstag in der vergangenen Woche
dauerte insgesamt fünf Stunden. Kurz nach Prozessbeginn
stellte es sich heraus, dass wichtige Akten fehlen.
Die Unterlagen über die von der Staatsanwaltschaft
veranlasste medizinische Untersuchung des allgemeinen
körperlichen Zustands von Leyla B. sowie der für
Vergewaltigungsopfer bei Verhandlungen in der Türkei
so wichtige gynäkologische Nachweis von Spuren
gewaltsamen sexuellen Verkehrs sind verschwunden.
Die Forderung der Anwältinnen, die gesamte Polizeistation
wegen unterlassener Hilfeleistung, des Versuchs der
Vertuschung einer Straftat und der Einschüchterung
der Angeklagten anzuklagen, wurde ignoriert. Dafür
müsse man ein eigenes Verfahren eröffnen,
bügelte sie der Richter schroff ab.
Während des Prozesses wurde deutlich, dass sich
die latent sexistische Haltung vieler türkischer
Männer gegenüber osteuropäischen Frauen
noch verstärkt. So ist der Name "Natascha"
in der Türkei inzwischen ein Synonym für eine
ausländische Prostituierte. Und genau darauf bauen
die Angeklagten ihre Verteidigung. Schließlich
wurde der Prozess auf den 27. Februar vertagt, dann
soll der Angeklagte Mehmet P. vernommen werden, der
in Sile eine Bar betreibt.
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