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Am Donnerstag sitzen einmal mehr die Anwältin
Eren Keskin und Erol Tas, Verleger der türkischen
Tageszeitung Yeni Gündem, wegen "Diffamierung
des Militärs" auf der Anklagebank. Die Anklageschrift
zitiert als Beispiele ihres angeblichen Verbrechens
Sätze von Keskin aus einer Presseerklärung:
"Die Mütter, die nackt ausgezogen und deren
Augen verbunden waren, wurden von Soldaten, die im Alter
ihrer Enkel waren, sexuell gefoltert".
Den 12. März 1999 wird die 19jährige Studentin
Fatma Deniz Polattas wohl nie vergessen. Mit ihrer Festnahme
durch die türkische Polizei beginnt eine Tortur,
die allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn spricht.
Die kommenden fünf Tage wird sie in der Antiterrorabteilung
von Iskenderun verbringen. Während des Verhörs
sind ihre Augen verbunden, sie muß sich ausziehen.
Sie wird am ganzen Körper geschlagen, die Schläge
zielen auf ihren Kopf, ihre Genitalien, das Gesäß
und die Brüste. Sie muß sich auf den feuchten
Boden setzen. Sie wird vergewaltigt, und ihr wird gedroht,
daß ihre Eltern ebenfalls vor ihren Augen vergewaltigt
werden. Fatma Deniz Polattas wird aufgrund der Aussagen,
die sie unter dieser Folter macht, zu 18 Jahren Freiheitsstrafe
verurteilt, wegen Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei
Kurdistan (PKK) und Beteiligung an einem Anschlag mit
Brandsätzen während einer Demonstration.
Fatma Polattas ist Kurdin. Mit dieser Erfahrung stellt
sie keinen Einzelfall dar. Sie veranschaulichen die
andauernde Bedrohung von Frauen in türkischen Polizeiwachen
und Gefängnissen. "Sexuelle Folter wird in
der Türkei speziell gegen Frauen systematisch angewandt",
so die Vorsitzende des Frauenkulturvereins Dicle in
Istanbul. "Sie ist darauf ausgerichtet, die weibliche
Identität der betroffenen Frauen zu zerstören."
In Gegenden bewaffneter Auseinandersetzung, wie den
kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei,
wird Vergewaltigung häufig als Methode der Kriegsführung
eingesetzt.
Aus Angst vor Racheakten der Täter, aber auch davor,
von der Familie verstoßen zu werden, schweigen
die Frauen meist über die ihnen angetane Gewalt.
"Auch wenn du zu einem Arzt gehst, kannst du nichts
beweisen", soll ein an der Vergewaltigung von Fatma
Deniz Polattas beteiligter Polizist gesagt haben. Nicht
zu unrecht, denn der Nachweis einer Vergewaltigung ist
in der Türkei sehr schwierig. Eine Vergewaltigung
kann nur attestiert werden, wenn innerhalb von 48 Stunden
eine körperliche Untersuchung stattfindet. Da die
meisten Frauen aber länger in Polizeihaft bleiben,
ist so ein Nachweis nicht möglich. Darüber
hinaus bewertet das türkische Recht anale oder
orale sowie Vergewaltigung mit Gegenständen nicht
als Vergewaltigung, sondern als "sexuelle Belästigung".
Mediziner, die Atteste über Anzeichen von Folter
oder Vergewaltigung ausstellen, müssen mit massiver
Einschüchterung rechnen. Laut der Liga für
Menschenrechte in Berlin wurden Ärzte angeklagt,
"kriminelle" oder "illegale Organisationen"
zu unterstützen, oder sie wurden selbst verhaftet
und gefoltert.
Psychologische Gutachten, als Nachweis erlittener sexueller
Folter, werden in der Türkei erst seit kurzem diskutiert.
Das Psychosoziale Traumazentrum der medizinischen Fakultät
Capa erstellt als einziges unabhängiges Institut
solche Gutachten, allerdings werden die dort erstellten
Gutachten vor Gericht nicht akzeptiert - es sei denn,
sie werden vom (staatlichen) Gerichtsmedizinischen Institut
bestätigt. Diese Stelle bescheinigte schon einigen
Frauen eine Traumatisierung, erklärte aber zugleich,
daß die Ursache für das Trauma nicht bekannt
sei.
Fatma Deniz Polattas ließ sich nicht einschüchtern,
erstattete Anzeige gegen ihre Folterer und konnte so
die Einleitung eines Ermittlungsverfahren bewirken.
Vier Ärzte des Gerichtsmedizinischen Instituts
Iskenderun haben sie untersucht und bescheinigt, daß
sie gefoltert wurde. Der leitende Staatsanwalt interessierte
sich aber nicht für den Bericht der Ärzte
und stellte das Verfahren gegen die Polizisten ein.
Um Frauen wie Fatma Deniz Polattas zu unterstützen,
gründeten vier Anwältinnen 1997 das Projekt
"Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen
Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere
Weise sexuell mißhandelt wurden". Die Anwältinnen,
darunter Eren Keskin, die Vorsitzende des Menschenrechtsvereins,
sind treibende Kraft im Kampf gegen sexuelle Folter
in der Türkei. Sie unterstützen betroffene
Frauen: Sie erstatten Anzeige, wenn die Frauen das möchten,
gehen mit ihnen zu Ärzten, um ein psychologisches
Gutachten zu erstellen und begleiten sie vor Gericht.
Und sie versuchen, sexuelle Folter zu einem öffentlichen
Thema zu machen. So organisierten die Anwältinnen
zusammen mit verschiedenen Frauenorganisationen im Juni
2000 einen Kongreß in Istanbul. Einige betroffene
Frauen sprachen öffentlich über die erlebte
Folter, um auch anderen Frauen Mut zu machen, die Täter
anzuzeigen. Zum ersten Mal gingen Frauen in organisierter
Form an die Öffentlichkeit und forderten die Bestrafung
der Täter. Dies stellt die türkische Regierung
offensichtlich vor ein Problem: Bestraft sie die Täter,
gibt sie zu, daß nach wie vor Folter und Gewalt
gegen Oppositionelle angewendet werden. Das schadet
dem Bestreben nach Vollmitgliedschaft in der EU. Die
türkische Regierung zog es vor, die Organisatorinnen
und Rednerinnen des Kongresses anzuklagen. Der Vorwurf:
Verleumdung und Verunglimpfung des türkischen Staates
und seiner Organe.
Andrea Schanz
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