Statistik Ende Juni 2001 des
Istanbuler Projekts:
"Büro gegen sexuelle Folter - Rechtliche
Hilfe für Frauen, die in Polizeihaft vergewaltigt
oder sexuell mißhandelt wurden".
Berlin, den 19.11.2001
Wir veröffentlichen hier die
überarbeitete und um neue Kategorien ergänzte
Statistik des Istanbuler Projekts "Rechtliche Hilfe
für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften
vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell mißhandelt
wurden".
Die Statistik wurde im Hinblick auf notwendige Diskussionen
hier im Exil im Verhältnis zur Dezemberstatistik
2000 um neue Kategorien ergänzt und aktualisiert.
Zur Verdeutlichung einzelner Kategorien werden wir vorab
einige erläuternde Anmerkungen vornehmen:
1. Sämtliche Zahlen orientieren
sich an der Gesamtzahl der Anträge, d.h. 140.
2. Zum Punkt "Hintergrund":
Die unter der Kategorie "politischer Art oder kriegsbedingt"
spezifizierten Umstände beinhalten immer auch eine
Vermischung mit den jeweils anderen Kategorien. So ist
"kriegsbedingt" immer auch politisch motiviert
oder die frauenspezifischen Komponenten "um Informationen
über männliche Angehörige zu erhalten..."
oder "als Bestrafung für politisch aktive
Angehörige" immer auch kriegsbedingt oder
politisch motiviert. Wir haben die "Fälle"
der Betroffenen dahingehend gewichtet, welche Komponente
im Vordergrund stand. Zu den einzelnen Kategorien:
a. als "kriegsbedingt"
wurden die Situationen eingestuft, in denen Frauen durch
bewaffnete Kräfte wie z.B. Dorfschützer oder
Militär in Anlehnung an die durch den Staat vermittelte
Machtposition in den kurdischen Gebieten nur und ausschließlich
zur Demütigung, d.h. ohne Vorwurf, Festnahme oder
sonstiger Absichten, außer der puren Zerstörung,
sexuell mißhandelt und gefoltert wurden.
b. Unter dem Punkt "um männliche
Familienangehörige zum Sprechen zu bringen...."
sind diejenigen Situationen zu verstehen, in denen die
betroffene Frau, ohne daß ihr selbst irgendein
Vorwurf gemacht würde, zum Mittel einer Absicht
degradiert wird: durch die Androhung oder auch Realisierung
sexueller Gewalt an ihnen meist vor den Augen männlicher
Angehöriger oder Freunde, sollen diese dazu gebracht
werden, Aussagen der von ihnen verlangten Art zu machen.
In einer solchen Situation wird auf das Verantwortungsbewußtsein
und die Gefühle derjenigen Personen abgezielt,
die zum Sprechen gebracht werden sollen, während
die betroffene Frau selbst in totaler Mißachtung
ihrer Würde und Integrität lediglich "Mittel
zum Zweck" ist. Jeder Mensch, der sich selber einmal
in einer solchen Situation befunden hat, weiß,
welcher Art brutal zerstörerischer Kräfte
in einer solchen Situation zum Einsatz gelangen. Die
andere Situation besteht besteht darin, daß sich
männliche Angehörige nicht in den Händen
der staatlichen Kräfte befinden und durch die Androhung
oder Realisierung sexueller Gewalt die betroffene Frau
dazu gebracht werden soll, von ihnen verlangte tatsächliche
oder vorgefertigte Auskünfte über männliche
Angehörige oder Freunde zu geben, wie z.B. Aufenthaltsort,
Kontakte und Beziehungen, Aktivitäten etc. Diese
Situationen kommen sowohl nach Festnahmen als auch rein
kriegsbedingt insbesondere in den kurdischen Gebieten
bei Hausdurchsuchungen oder Gebietsrazzien vor.
c. "Bestrafung für
tatsächlich oder vermeintlich politisch aktive
Angehörige" ist ebenfalls eine frauenspezifische
Dimension politischer Verfolgung, die in den Lageberichten
des Auswärtigen Amtes bzw. im "Fachjargon"
auch als "Sippenhaft" bezeichnet wird: Die
betroffene Frau wird mißhandelt und gequält,
da sie dafür "büßen" soll,
daß Familienangehörige in Opposition gegen
den Staat vermeintlich oder tatsächlich tätig
wurden. Auch in diesen Situationen wird die betroffene
Frau zu einem "Mittel" degradiert, nämlich
demjenigen der Rache. Diese Situationen sind häufig
kriegsbedingt und ihnen geht oft keine Festnahme voraus,
d.h., diese Art Folter findet in Häusern oder auf
offenem Gelände statt.
3. Die Untersuchung der erneuten
Repressionen, denen Frauen ausgesetzt sind, wenn
sie den Mut finden, Zeugnis über die von ihnen
erlebten Demütigungen und Mißhandlungen abzulegen
und die Bestrafung der staatlichen Täter zu fordern,
haben uns dazu veranlaßt, drei Kategorien zu bilden.
In diesen ist die Kategorie der Flucht ins Ausland nicht
enthalten, da diese bereits zu Anfang der Statistik
aufgeführt ist.
a. Umsiedlung innerhalb der
Türkei bedeutet, daß der Repressionsdruck
auf die Betroffene insbesondere nach Anzeigenerstattung
in ihrem Siedlungsgebiet so groß wurde, daß
keine Lebenssicherheit mehr bestand. Dies betrifft fast
ausschließlich Frauen aus den kurdischen Gebieten.
Diese Situation hat nicht zur Folge, daß
die Betroffenen im Westen Ruhe finden, im Gegenteil.
Meist sind sie auch hier erneuter Repression ausgesetzt,
zumindest aber sind die sozialen und existenziellen
Umstände derart katastrophal, daß sie kaum
"überleben" können. Es handelt sich
um betroffene Frauen, denen die Flucht ins Ausland nicht
gelingt oder die aus anderen Gründen die Flucht
ins Ausland scheuen. Sie können nur mit direkter
seelischer und materieller Unterstützung von außen
überleben.
b. Einschüchterung etc.
kommt alternativ oder kumulativ vor. Die brutalste Situation,
mit der wir konfrontiert waren, ist diejenige eines
jungen Mädchens, welches nach Anzeigenerstattung
auf dem Weg vom Therapiezentrum "TOHAV" nach
Hause erneut durch zivile Beamte überwältigt
und vergewaltigt wurde. Während dieser zweiten
Vergewaltigung wurde ihr "gesagt": "Du
wirst schon sehen, was es heißt, türkische
Polizei wegen Vergewaltigung anzuschwärzen".
Diese Situation wirft u.a. ein entscheidendes Licht
auf die vom Auswärtigen Amt im letzten
Lagebericht behauptete "Therapiemöglichkeit"
innerhalb der Türkei.
c. Strafverfahren wegen
Anzeigenerstattung meist in Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit
sind wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner
Organe" oder "Verleumdung" sowohl gegen
Anwältinnen des Projekts als auch gegen betroffene
Frauen eingeleitet worden. In der Statistik beziehen
wir uns nur auf die Anzahl der Strafverfahren, die gegen
Betroffene eingeleitet wurden.
Soweit zur Statistik.
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