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Urteil vom 21. Mai 2003
Verwaltungsgericht des Saarlandes
5K 23/03.A
 
 


Stichworte:
Sippenhaft
Folter


Dass auch Geschwister landesweit gesuchter Aktivisten in der Türkei in deren Verfolgung generell einbezogen werden, hat das OVG Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 27.06.2002 - 8 A 4782/99.A - auf Seite 86 mit Nachweisen dargestellt. Weiter heißt es in dem Urteil auf Seite 79:

"In der Türkei ist es Bestandteil polizeilicher Ermittlungstaktik, dass nahe Angehörige bestimmter politischer Verfolgter von den Sicherheitskräften in der Wohnung überfallen, nach Durchsuchung - häufig auch des Arbeitsplatzes - zur Wache genommen und unter Folter verhört werden, obwohl sie selbst nicht im Verdacht stehen, in eigener Person separatistische Strömungen zu unterstützen oder sich sonst staatsfeindlich zu verhalten. ... Mit diesem Vorgehen verfolgen die staatlichen Sicherheitskräfte mehrere Ziele: Zum Einen soll erreicht werden, dass die Familie dem Druck nicht länger standhält und dafür sorgt, dass die gesuchte Person sich stellt, oder dass diese sich selbst stellt, weil sie die Misshandlungen ihrer Angehörigen nicht länger erträgt. Zum Zweiten wird das Ziel verfolgt, Informationen sowohl über die Straftat und die gesuchte Person (Aufenthaltsort, Tätigkeiten, Kontakte) als auch über die Unterstützung des Gesuchten durch die Familienangehörigen zu erhalten. Drittens schließlich sollen die Familienangehörigen so eingeschüchtert werden, dass sie sich von der kurdischen Opposition fernhalten; ..."

Diese Vorgehensweise (die Vergewaltigung weiblicher Angehöriger - d.A.in) hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) des Saarlandes in seinem Grundsatzurteil zur Sippenhaft vom 02.10.1996 - 9 R 87/93 - auf den Seiten 9 - 17 beschrieben:

"Speziell zum Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber kurdischen Frauen ergibt sich aus den Erkenntnisquellen, dass in den Augen der Sicherheitskräfte jede Frau, deren Mann, Bruder oder Vater kein Dorfschützer sei und nicht auf Seiten des Staates stehe, unabhängig davon, ob sie schreiben und lesen könne oder der türkischen Sprache mächtig sei, als "Separatistin", "Mitglied der Organisation", "Sympathisantin" oder "Helferin der Guerilla" gelte, die ständig verdächtig und unter Druck gesetzt werde. Die Sicherheitskräfte träfen bei Durchsuchungen in den Dörfern meistens nur die Frauen an, da die Männer entweder weit weg bei der Arbeit oder bei der PKK-Guerilla seien. Diese Frauen werden dadurch viel schneller zu Zielscheiben der türkischen Militärs und Polizei. Der Angriff auf die "Frau des Gegners" bedeute in dieser Region auch die Erniedrigung des gegnerischen Mannes, dessen Ehre zutiefst verletzt werden solle."

Die von den Klägern zu 1. und 2. erlittenen Maßnahmen, die sie aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzten, knüpften an die unverfügbaren Merkmale "Bruder" bzw. "Ehefrau" an. Das Ausbleiben gesetzlich vorgesehener strafrechtlicher Konsequenzen gibt Anhaltspunkte dafür, dass es sich hierbei um Maßnahmen politischer Verfolgung - wenngleich unter dem Deckmantel angeblicher "Terrrorismusbekämpfung" bzw. "als ordnungsrechtliche Maßnahmen gerechtfertigt" - handelt. Die genannten Maßnahmen haben nach ihrer objektiven Gerichtetheit jenseits der Terrorismusbekämpfung auch zum Ziel, die im Einzelfall festgestellte oder generell bei allen Kurden in Süsostanatolien vermutete, mit dem Terrorismus/Separatismus sympathisierende Gesinnung durch Anwendung menschenrechtswidriger Gewalt und fortwährene Schikanen zu bekämpfen.
Vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 22.01.1999 - 2 BvR 86/97 - , InfAuslR 1999, 273 (277)