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hintergrund__ analyse  
__Sexuelle Gewalt - Methode staatlicher Kriegführung und Repression
    Flucht und Exil - Fortsetzung der Zerstörung?
 
 

[…]

Alle kennen wohl die verheerende Situation, in die Flüchtlingsfrauen aufgrund der Asylgesetzgebung und Rechtsprechung der BRD geraten. Trotzdem möchte ich hier noch einmal einige besonders gravierende Umstände kurz erwähnen, die insbesondere zur Fortsetzung der Zerstörung von Flüchtlingsfrauen, die systematische sexuelle Gewalterlebnisse hinter sich haben, beitragen. Insbesondere diese Situationen erfordern eine sofortige Intervention, ohne darauf zu warten, ob eventuell eines Tages etwas weniger reaktionäre Gesetzesinitiativen Erfolg haben oder nicht. Hier ist die konkrete Unterstützung unabdingbare Voraussetzung, um Ausgangsbedingungen herzustellen, die den Weg zu einer folgenden politischen Zusammenarbeit erst öffnen. Nur unter dieser Zielstellung weichen sie allerdings von rein humanitärer Hilfestellung ab.

1. Sprache
Insbesondere die kurdischen Frauen haben fast alle schon in der Türkei die demütigende Erfahrung gemacht, was es bedeutet, sich nicht in der eigenen Muttersprache ausdrücken zu dürfen […]
Auch bei der ersten Anhörung ist die Muttersprache von entscheidender Wichtigkeit. In all diesen Situationen ist es wichtig, dass von Anfang an eine Person (und zwar eine Frau, weil sich häufig erst im Nachhinein herausstellt, welche Barrieren gegenüber Männern bestehen), zu der ein Vertrauensverhältnis besteht, mitgeht, kontrolliert, eingreift und bei demütigender Behandlung sogleich eine Dienstaufsichtsbeschwerde in die Wege leitet, wobei diese Person zugleich Zeugin ist.

2. Anhörung
Die Anhörung selber birgt unendlich viele Situationen von Retraumatisierung, Demütigung und Passivisierung in sich. Das beginnt damit, dass die Anhörung nie innerhalb eines Vertrauensverhältnisses stattfindet. Fremde begegnen sich. Der Zwang, verbal bis in alle Details die persönliche Verfolgungsgeschichte zu wiederholen und der Druck, der durch das Wissen entsteht, dies vollständig und widerspruchsfrei tun zu müssen, schafft eine Situation, die der eigentlichen Verhörsituation in nichts nachsteht. Die meisten Frauen erleben die Verhörsituation und die Situation der Folter und Vergewaltigung durch Reaktivierung des Gedächtnisses erneut. Hinzu kommt, dass bei den AnhörerInnen ein Gedankenmechanismus vorherrscht, nachdem diejenigen Frauen, die am meisten Zeichen physischer und psychischer Zerstörung aufweisen oder nachweisen können, am glaubwürdigsten erscheinen. Das führt dazu, dass sie sich als - krankes - Ofper darstellen müssen nach dem Motto: Je zerstörter, desto verfolgter.
Genau gegen diese Zerstörung, die sowieso die Absicht der Folterer ist, kämpfen diese Frauen jedoch. Sich selber so darstellen zu müssen, löst daher berechtigterweise ungeheure Gefühle von Wut und aber auch erneuter Demütigung aus.
Es gibt Erfahrungen mit einem Gemisch von Forderungen und "Fakten schaffen" bei der Vorbereitung der Anhörung, die daher von Beginn an berücksichtigt werden sollten, insbesondere wenn die betroffene Frau sexuelle Folter erlebt hat: Die persönliche Verfolgungsgeschichte sollte zuvor in einem Gespräch mit einer Vertrauensperson aufgezeichnet und übersetzt worden sein, sämtliche relevanten Belege und Unterlagen desgleichen. Zusammen mit der Antragstellung sollten diese Dokumente zur Grundlage des Antrages gemacht werden, verbunden mit den Forderungen, dass Anhörerin wie offizielle Dolmetscherin Frauen sein sollen.
Es hat sich gezeigt, dass nach einer guten Vorbereitung in dieser Hinsicht den Frauen weitere Detailfragen in Bezug auf die erlebte (sexuelle) Folter erspart bleiben können. Von selber versteht sich, dass bei der Anhörung eine Vertrauensanwältin und -dolmetscherin zur Kontrolle mit anwesend sind und bei Bedarf eingreifen.
Zugleich sollte unter Hinweis auf die erlebte sexuelle Folter eine Befreiung von der Heimunterbringung (hierzu später noch) und die Verteilung auf eine Region, wo die betroffene Frau erhält (falls dem so ist) und wo sich unterstützende Vertrauenspersonen aufhalten, beantragt werden.

3. Heimsituation
Die Situation in den so genannten Asylbewerberheimen in der BRD, in denen alle Menschen, die politischer Verfolgung in ihren Herkunftsländern geltend machen, laut Gesetz "untergebracht" werden, ist derartig erniedrigend und unmenschlich, dass eigentlich alle für diese Zustände Verantwortlichen einschließlich der Gesetzgeben (auch der neuen!!) vor Scham verstummen sollten. […] Es würde sich lohnen, eine ausführliche Studie zu den Verhältnissen in den "Heimen" anzufertigen und der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen vorzulegen. Ich möchte nur einige Punkte erwähnen, die für unser "Thema" von Bedeutung sind. Uns ist bekannt, dass in etlichen Heimen Frauen und Mädchen nicht getrennt "untergebracht" werden, dass sie, um zur Dusche oder Toilette zu gelangen, durch Männerräume gehen müssen, dass es zu Zwangsprostitution und Vergewaltigungen kommt.
Was eine solche Situation für (durch sexuelle Angriffe traumatisierte) Frauen bedeutet, muss nicht ausgeführt werden. Hinzu kommt, dass die meisten Frauen ein dringendes Bedürfnis nach einem ihnen eigenen Rückzugsraum haben […]
Weiterhin werden alle betroffenen Frauen und Therapeutinnen bestätigen, dass es insbesondere nachts zu extremen Krisen kommt und die Frauen dann einen angstfreien Raum für sich brauchen und vertraute Menschen, die bei ihnen sind. Ein anonymes Zimmer, belegt mit mehreren Unbekannten, in einem Heim, dessen Atmosphäre geprägt ist von (verständlicher) Aggressivität und Verzweiflung, ist daher schlicht eine nicht hinzunehmende Zumutung. (Das gilt selbstverständlich allgemein und ich versuche es nur anhand unseres Tätigkeitsfeldes zu konkretisieren.)
[…]

4. Zusammenarbeit
Bei den bisher angeführten Möglichkeiten von "Unterstützung" handelt es sich lediglich um die Schaffung von Mindestvoraussetzungen, auf deren Grundlage sich eine Zusammenarbeit überhaupt entwickeln kann. Zusammenarbeit heißt dann auch wirklich Zusammenarbeit und nicht - was wir leider auch schon gehört haben - wir machen etwas für oder mit den "Opfern". Es ist uns zu Ohren gekommen, dass es Unterstützungsgruppen gibt, die betroffenen Frauen in Fortführung der Erniedrigung als "betroffene Opfer" regelrecht vorführen. Dazu enthalten wir uns jeglichen Kommentars.
Zusammenarbeit kann heißen, Öffentlichkeit über die Zustände, die zur Flucht zwangen, herzustellen, Dokumente zu sammeln, auf die Regierungen des Exillandes einzuwirken etc.
Ich möchte insbesondere zwei Vorschläge machen. Um zu einer politischen Ächtung der Türkischen Republik aufgrund ihrer Praktiken beizutragen, ist es trotz allen Wissens um die herrschenden Methoden immer wieder wichtig, die Dimension der staatlich verübten Gewalt und Verbrechen aufzuzeigen. Was staatliche sexuelle Angriffe betrifft, ist es daher von nicht unerheblicher Bedeutung, dass Frauen über ihre Erlebnisse berichten.
So könnte in Deutschland ein Netzwerk von Rechtsanwältinnen, Therapeutinnen, Rehabilitationszentren und Unterstützungsgruppen hergestellt werden, über das den Frauen, die ins Exil gegangen sind, Mut gemacht wird, im Nachhinein ihre Gewalterfahrungen zu benennen und zur Anzeige der staatlichen Täter in der Türkei beizutragen. Wir als Projekt werden für jede Frau, die sich aus dem Exil an uns wendet, im Nachhinein Anzeige gegen die Täter hier erstatten und ohne Entgelt diese Verfahren, wenn nötig, bis zur Europäischen Kommission für Menschenrechte, tragen.
Darüber hinaus schlagen wir vor, ein alternatives internationales Kriebsverbrechertribunal ähnlich dem Russell-Tribunal zu Vietnam 1966 vorzubereiten. Vergewaltigungen und andere sexuelle Angriffe auf Frauen während bewaffneter Konflikte und Kriege gelten mittlerweile anerkannt als schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle und bei verbreiteter Methode als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein solches Tribunal müsste entsprechend den anerkannten internationalen Rechtsnormen und -regeln langfristig vorbereitet werden. […]

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